Darf`s ein bisschen mehr sein? & Antworten auf nicht gestellte Fragen // #3
Mai. Der Wonnemonat. Der in dem der Muttertag mich zum ersten Mal eingeschlossen hat. Und der in dem Tillmann ein Jahr alt wurde. Dieses Jahr war so randvoll! Mit Gefühlen, Eindrücken, Erlebnissen, Erfahrungen, Geschichten und ganz vielen Erkenntnissen über mich selbst, mein Muttersein und über den Wahnsinn der Normalität.
Normalität ist subjektiv. Das war mir bereits vor Tillmann bewusst, doch mit ihm werde ich ständig darauf gestoßen. Ich bin überzeugt davon, dass ich ohne meine Intuition und ein wenig gesunden Menschenverstand keine Normalität hätte. Ich käme ins Trudeln, weil es so viel Zugang zu vermeintlichem Wissen, zig Empfehlungen zu unterschiedlichsten Lebensweisen, neuen Theorien, alten Weisheiten und vor allem vielen, ja sogar Unmengen an Meinungen von selbsternannten Experten gibt. Die genau wissen was normal ist, oder besser noch: was richtig und was falsch ist. Allen voran stehen dabei Frauen wie ich. Mütter. Die ihren Weg gefunden haben, was toll ist. Doch es ist und bleibt ihrer.
Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass jede Mama schon die Erfahrung machen durfte, wie andere erfahrene Mütter, sagen wir mal, gern ihr Wissen und ihren Erfahrungsschatz (mit-) teilen. Das fängt bei dem positiven Schwangerschaftstest an und endet in Vorhersagen über dein erwachsenes Kind. Doch was heißt erfahrener? Woher wissen sie, was einem anderen Kind gut tut, es beruhigt, fördert?
Ich erinnere mich immer gern an den Satz, den eine Freundin zu hören bekam, als ihr Kleiner auf Grund von unerkannten Blockaden wochenlang weinte und kaum zu beruhigen war: „Ach, nimm es nicht so schlimm, das hört ja auch wieder auf. Kleine Kinder kleine Sorgen, große Kinder große Sorgen! Meiner ist ja jetzt 8 und...“, es folgte ein Selbstbericht. Toll! Danke! Da freust du dich doch, wenn dir tagtäglich das Herz bricht, weil dein Kind unentwegt weint, du dich absolut hilflos fühlst und dir jemand zusammengefasst sagt: „Reg dich ab! Wird eh schlimmer! Jetzt zum Wesentlichen: nämlich mir.“
Das ist jedoch kein Einzelfall. Ich konnte das Verhalten freilaufender Mütter schon oft in ihrem natürlichem Umfeld beobachten. Sei es beim Kinderarzt: „Wie alt? Also da hat meine ja schon gesprochen. Da solltest du aber schon mal zum Logopäden gehen“, in Krabbelgruppen: „Du hast ihn viel getragen, oder? Also wir haben das auch gemacht. Großer Fehler! Du musst das jetzt umstellen, sonst trägst du ihn bis er volljährig ist!“ oder zu Hause durch eigene Freundinnen: „Er wird nachts wach? Dann hat er auf jeden Fall Durst, kriegt Zähne, hat eine Phase, einen Schub, Albträume“, kann man wahllos ersetzen, je nachdem, welche Erfahrung das in Fahrt gekommene Muttertier gemacht hat. Und das ist doch normal. Kennt doch jede, oder ist dein Kind etwa anders als meins? So bekommt man zwischen Tür und Angel, ungefragt, anhand einer Momentaufnahme, ohne vollständiges Zuhören alles nur denkbare getarnt als guten Ratschlag rechts und links um die Ohren gehauen. Bäm!
Seltsamerweise bin ich bisher eher stille Beobachterin. Dieses rüde Eindringen in meine Normalität und ein Eingreifen zu Tillis Wohl habe ich allen Ernstes kaum erlebt. Bin ich so taff, dass man sich das bei mir nicht traut? Wirke ich zu routiniert und planvoll? Selbst wenn das zum Teil zutreffen mag, stelle ich etwas Anderes fest. Rücksichtnahme.
Denn unser Kind ist anders. Zumindest in der Vorstellung der anderen und im Kontrast zu ihrer Normalität. Man will uns nicht auf den Schlips treten. Man weiß nicht, ob man selbst mit dem Schreckgespenst Trisome 21 klarkäme und weil das so ist, verhält man sich vorsichtig. Das klingt im Allgemeinen so: „Ich weiß ja nicht, ob dir das was hilft, aber bei uns hat geholfen…“, oder „Willst du wissen wie wir das machen? Selbst wenn unsere Kleine ja keine Einschränkungen hat?“ bis hin zu „Und wie ist das?“. Ich werde von Müttern erstmal angehört, weil sie davon ausgehen, dass wir ein Leben der dritten Art führen. Doch auch wenn wir Tilli selbst gern als X-Man bezeichnen, muss ich schweren Herzens zugeben, dass er kein Mutant ist. Die Fähigkeit superglücklich zu machen mal außer Acht gelassen. Andere Mütter fragen mich vorher, ob ich ihre Erfahrung hören und vielleicht für mich nutzbar machen möchte. Sie versuchen sich einzufühlen, in eine Welt von der sie glauben, sie sei ihnen fremd. Dabei ist es die gleiche. Es ist eine Welt voller Staunen, dazulernen, scheitern, verzweifeln, sich Mut machen und leben. Ganz normal anders eben.
Gern würde ich geplagten Mamas eins unserer extra Chromosomen abgeben. Als Puffer. Damit das Gegenüber sich vielleicht deutlicher vor Augen führen kann, dass jedes Kind anders ist. Weil es im eigentlichen Sinne keine Normalität gibt, außer der eigenen. Dann würde man jeder Sorge Raum lassen können, zuhören und vielleicht, wenn uns die andere darum bittet, berichten wie es uns mit unserem eigenen ganz anderen Kind ergangen ist.
Eure Ini
Und jetzt fragt ihr euch sicherlich, wo ist eigentlich die Frage, die ich immer beantworte. Ich habe mir mit den Jungs überlegt, dass ihr heute EURE Fragen einsenden dürft, die ich euch dann im nächsten Artikel beantworten werde. Also ich bin gespannt und freue mich auf eure Fragen. Eins dürft ihr mir versprechen, bitte scheut euch nicht davor die Fragen zu stellen, nur ungefragte Fragen sind "dumme" Fragen.
Vor einiger Zeit bin ich über das Profil von Ini, Alfi und Tilli gestolpert und war irgendwie berührt. Ich habe nach einiger Zeit Ini einfach angeschrieben und gefragt, ob ich einen Artikel über Tilli und seine Geschichte schreiben darf. Mehrfach habe ich einen Anfang für die Story gesucht und wurde nie fündig. Das habe ich Ini reumütig gebeichtet und sie hatte Verständnis und so haben wir die Idee für diese Kategorie entwickelt. In Zukunft wird Ini 1x im Monat für euch aus ihrem Alltag mit Tilli berichten. Es wird keinen roten Faden geben und muss es auch nicht! Was es aber geben wird ist die Wahrheit und alles was Ini bewegt. On top gibt Ini immer eine Antwort auf eine Frage die eigentlich nie gestellt werden darf. Wir wünschen euch viel Spaß - #herzensangelegenheit