80% der Eltern behinderter Kinder trennen sich
Das habe ich vor kurzem gelesen. Und mit einem Stich im Herzen denke ich an den Moment zurück, als Alfi Tilli das erste Mal aus seinem Bett auf der Intensivstation hochnahm und einem Befund ins Gesicht sah, anstatt wie die Tage zuvor einfach unserem Kind. Ich konnte die Angst im Raum förmlich greifen und mein Herz krampfte sich schlagartig zusammen. Was wenn er das nicht kann? Was wenn Liebe nicht für alles ausreicht? Was wenn ich ohne ihn alles bewältigen muss? Und hinter all diesen Fragen steckte meine eigene Angst. Wie kommen wir mit diesem Befund klar? Down-Syndrom. Ist es zwingend so, dass wir uns irgendwann geschlagen geben müssen?
Jeder Monat hat seine Termine. Physiotherapie, Logopädie, Physiotherapie im SPZ, Kontrolltermine, Heilpädagogik. Selbst wenn es für mich Normalität geworden ist, merke ich allein bei der Aufzählung, dass es das nicht ist. Dass es mich fordert und ich ständig organisatorische Höchstleistungen erbringen muss und das neben dem, was Muttersein so schon heißt. Ich tue das sicherlich für Tilli, doch wenn ich ganz ehrlich bin, dann tue ich es auch aus dem Egoismus heraus, nicht beschuldigt zu werden etwas versäumt zu haben. Ich mache mir Druck, den ich oft bei Seite schiebe und ihn kleinrede. Davon verschwindet er aber nicht. An manchen Tagen reicht die Kraft für Down-Syndrom und normales Leben, an anderen nicht. An denen bin ich das Thema leid, will ich mit Tilli keine „Hausaufgaben“ machen, möchte mich nicht gedanklich mit all den Papieren, Anträgen und Möglichkeiten etwas anzufechten beschäftigen. Ich will keine anderen Down-Syndrom Kinder sehen, weder hören, dass Tilli sich ja so gut macht, noch wo er hinterherhängt. Ich will Ruhe, vom Terror einer Bezeichnung und den damit verbundenen Voraussagen, Erwartungen und Bemerkungen. An diesen Tagen nimmt es nämlich überhand.
Genau an diesen Tagen komme ich dann ohne Vorankündigung gleich zum Punkt. Mir ist ziemlich schnurz, ob Alfi einen guten oder schlechten Tag hatte, ich poltere drauf los sobald er in der Tür steht und zähle all die kleinen und großen Dinge auf, von denen ich überzeugt sei, ich trage sie ganz allein auf meinen Schultern. Und dann weine ich, viel und hemmungslos. Meine Worte werden unverständlich und ich schluchze bis ich vor Rotz und Wasser keinen Ton mehr rausbekomme. Dann schweigt das Down-Syndrom in mir und Ruhe kehrt ein. Weil der Mensch, welchen ich beschuldige mir nichts abzunehmen, von dem was ich mir selbst aufgetragen habe, einfach zu mir tritt und mich in den Arm nimmt. Weil er weiß, dass ich ihn und unser Kind mehr liebe als es Worte zu sagen vermögen. Und weil er versteht, dass es oftmals leichter aussieht als es ist, einen „guten“ Downie zu haben. Und dass wir aufeinander aufpassen müssen, damit uns ein Befund nicht kaputt macht was wir haben.
Nach über einem Jahr mit dem Down-Syndrom sehe ich, woran 80% Prozent scheitern könnten. Doch ich glaube, das können Ehen und Partnerschaften mit Kindern auch aus ganz anderen Gründen der Überforderung. Es ist nicht das Urteil Down-Syndrom, was verschuldet, wenn Beziehungen scheitern. An Beziehungen muss man arbeiten, Liebe muss man wachhalten. Ich glaube, es kann helfen sich einzugestehen, dass zur Seite stehen nicht bedeutet, dass alle sich um das Gleiche kümmern müssen, sondern das man sich gegenseitig den Rücken stärkt, wenn man es braucht. In Guten und in schlechten Zeiten.
Es ist wichtig vom Guten auszugehen, ehrlich zu sich und dem anderen zu sein und zu sehen, dass Prognosen letzten Endes nur Prognosen sind. Zumindest solange wir unser Leben mit Liebe betrachten. Und das tun wir.
Eure Ini