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Der Integrationsplatz und der Alltag - überfordert oder unterfördert!!!

Immer wieder habe ich es betont: Wir vergleichen Tilli nicht, er darf sein Tempo haben. Und doch kann man sich dem nicht völlig entziehen. Denn das hieße, die Augen zu verschließen. Vor Wahrheiten, die einfach unabänderlich sind.

Trisomie 21 schockt uns als solches immer noch nicht. Wir haben keine größeren Ängste als andere Eltern mit augenscheinlich normalen Kindern. Dennoch stehen wir manchmal vor der Aufgabe Dinge anders zu planen, unterstützen und vorherzusehen, um Tilli die größtmögliche Selbstbestimmtheit zu gewähren.

Vor einigen Wochen hat mich eine liebe Followerin gefragt, ob ich und Tillis Kita bereit wären einige Fragen zu beantworten, die seine Entwicklung und Eingewöhnung betreffen. Hintergrund ist eine Facharbeit im Zuge der Ausbildung zur Erzieherin. Klar, machen wir. Kein Ding.

Meine Einschätzung ist, dass Tilli sich zum einen sehr gut macht, seitdem er die Kita besucht. Viele Entwicklungsschritte fallen ihm sogar durch das Lernen am Beispiel anderer leichter. Trotzdem bin ich nicht blind. Die Schere zur Entwicklung gleichaltriger wird schnell größer. Er ist einfach hilfsbedürftig und das bei fast allem, wie z.B. dem Anziehen, dem Essen, der Fortbewegung, der Verständigung sowie dem Erlernen sozialer Umgangsformen. Und während ich das sehe, sehe ich nicht nur, dass mein Kind es vermeintlich schwerer hat. Tillmann stört sich daran nämlich herzlich wenig. Er ist glücklich und mittendrin. Was ich jedoch auch sehe, ist der Mehraufwand der Erzieherinnen und ich habe Sorge, ob dadurch andere Kinder zu kurz kommen. Und natürlich auch, ob Tilli ihnen vielleicht zu viel abverlangt. Das mag albern klingen, angesichts der Tatsache das Tilli einen bewilligten Integrationsplatz hat. Tatsache ist allerdings, dass der Alltag nicht immer hergibt, dass man allem gerecht wird. Das schaffe auch ich als Mama nicht immer. Ich kann nicht nur pädagogisch wertvoll sein. Manchmal reicht es gerade so für pragmatisch. Das einzige was für mich und uns unumstößlich ist, ist liebevoll mit ihm umzugehen. Und das tun auch alle seine Bezugspersonen in der Kita, was er uns allen durch viel Kuscheln und Freude dankt. 

Als vor ein paar Tagen sowohl unsere Kita-Leitung als auch unserer Erzieherin mir ihre Antworten auf die Fragen geben, sehe ich eins bestätigt: Faktisch und klar, ohne mit dem Finger auf uns zu zeigen. Tilli ist ein Mehraufwand. Das Amt leistet seinen Teil in Form von einer Tagespauschale von 27,12€. Für eine zusätzliche Kraft zu wenig. Ebenso fehlen spezifische Fortbildungen. Es ist für die Kita sicherlich eine irgendwie geartete Aufwandsentschädigung, mehr allerdings auch nicht.

Ja, natürlich sind sie eine Integrationskita und die Erzieherinnen haben die nötige heilpädagogische Zusatzausbildung. Doch das ist dem Alltagsgeschehen ziemlich schnurz. Wenn klein Edgar stürzt, klein Emma nicht essen will, oder ein Kind während der Betreuung Fieber bekommt, dann bleibt kein Platz für Integration. Zumindest nicht für die, die allen Parteien gerecht werden würde. Und doch geben alle ihr bestes. Tilli artikuliert mit Händen und Füßen, isst weitestgehend selbstständig, spielt mit den anderen Kindern und fügt sich gut ein. Sie bezeichnen ihn sogar als geduldig, was wir zu Hause bisweilen ein klitzekleines bisschen anders erleben #trotzphase #ahoi. Die Erziehrinnen kümmern sich nicht nur liebevoll um ihn, sondern machen sich auch immer wieder Gedanken, wie wir Abläufe verbessern können. Und sei es nur ein idealerer Trinkbecher. 

Dennoch gilt Integration in Deutschland vielfach „auffälligen“ Kindern mit ADS und ADHS. Behinderte Kinder werden oft direkt in einen Kindergarten mit heilpädagogischem Vollkonzept gegeben. Wir haben uns bewusst dagegen und für eine Kita entschieden, die das Prinzip der Teilhabe verfolgt. Und daran haben auch wir als Eltern Anteil. Meine große Schwester würde jetzt vermutlich Aufstand proben und sagen: „Die kriegen doch aber sogar mehr Geld dafür. Dann müssen sie sich auch um eine gute Ausbildung kümmern.“ Kann man sicherlich so sehen, tue ich aber nicht. Würde ich das, müsste ich Tilli immer wieder aus der Kita nehmen, bis ich den Betreuungsplatz gefunden hätte an dem man mir als Mutter allen Aufwand abnimmt. Ob es den überhaupt gibt, halte ich für fraglich. Man muss auch einfach mal sehen, dass Dinge manchmal nur bewilligt werden und zur Umsetzung eben auch Engagement gehört. Deshalb sehe ich Elternarbeit auch zu mindestens 50% bei mir. 

Wir ziehen möglichst an einem Strang. Tilli wird zu Hause genauso zur Mitarbeit und Selbstständigkeit aufgefordert wie im Kita Alltag. Ich mache mir Gedanken, wie wir den Erzieherinnen helfen können an nützliches Wissen rund um das Down-Syndrom zu kommen. So habe ich mir zum Beispiel eine Fortbildung zum Thema „Gebärdenunterstützte Kommunikation“ rausgesucht. Mit der Info gehe ich zu unserer jüngeren Erzieherin und schlage es ihr vor. Sie lächelt und schaut dann kurz irritiert. „Ja, ok, das kann ich gern weitergeben.“ „Klar“, antworte ich. „Ich suche mal Daten und Anmeldung raus. Ich kann euch dann gern mitnehmen. Ist eine Tagesveranstaltung an einem Samstag.“ Die Irritation hält stand. Dann fragt sie mich: „Ist Gebärdensprache nicht für Taubstumme Menschen gedacht?“ Ich versuche meine Mimik zu beherrschen und nicht selbst irritiert drein zu schauen. Ich muss beiseiteschieben, dass sie das GuK-Prinzip nicht kennt. „Gebärdensprache ja. GuK soll vor allem helfen, dass Tilli, wenn die Sprache nicht so schnell und deutlich raus will, seine Worte trotzdem darstellen kann.“ „Aha“, sagt sie skeptisch, doch ich merke, dass die Neugier groß ist. Ich lasse sie fürs erste damit stehen. Denn ich weiß, dass das viel auf einmal ist. Eine logopädische Maßnahme ergreifen, in der Freizeit, für ein einzelnes Kind der Gruppe, am Wochenende. Ich halte das für verständlich. Denn sie geben tagtäglich ihr Bestes und bekommen dafür meist wenig zurück. Oft sogar müssen sie sich damit konfrontiert sehen, dass sie unsere Kinder nicht genauso aufwendig begleiten, wie wir sie zu Hause. Doch ich finde, dass man bei all dem nicht vergessen darf, dass uns ein Mehraufwand im Job auch nicht immer sofort vom Hocker reißt. Überstunden sind nicht immer spaßig. Fortbildungen am Wochenende, auch wenn sie dann meistens toll sind und uns voranbringen, sind eben einfach ein Eingriff in unsere Komfortzone. Doch wenn ich es nicht anbieten würde, wie soll ich dann die Erwartung haben, dass sich für Tilli und sie etwas ändert? Dass er irgendwann mit den Kindern der Gruppe gleichziehen kann, um wieder vor neuen Herausforderungen zu stehen?

Trotzdem schleicht sich der Gedanke auf der Heimfahrt ein. ‚Lasse ich mein Kind bestmöglich betreuen?‘ Ich schaue in den Rückspiegel, auf einen kleinen Jungen der unter Kindern die etwa 4-6 Monate jünger sind, nicht auffallen würde, dem das an sich aber auch herzlich egal ist, der aus dem Fenster schaut und manchmal aus dem nichts heraus „Da!“ ruft und sich freut wie ein Schnitzel.

Es ist eine Tatsache, dass mich dieser Gedanke immer wieder begleiten wird und dass ich mich aus meiner Komfortzone bewegen, Hilfe annehmen und Hilfe gewährleisten muss. Doch tun das nicht alle Eltern? Ich wünsche es auf alle Fälle unseren Kindern. Damit sie die Freiheit haben ihr Tempo zu wählen.

Eure Ini